Ich bin auf einem langen, schmalen Pfad ich laufe Tag und Nacht Ich weiß nicht, in welchem Land ich bin Ich laufe Tag und Nacht. - Asik Veysel
Seyran Ateş, 1963 in der Türkei geboren, arbeitet in Berlin als Anwältin gegen Zwangsheirat und sogenannte Ehrenmorde. 1984 wurde sie angeschossen, als die Jurastudentin in einem Beratungszentrum für türkische Frauen arbeitete. Eine andere Frau starb am Tatort. Trotz dieser schmerzlichen Erfahrung gibt Seyran Ateş ihre öffentliche Unterstützung für Frauenrechte nicht auf. Als Berlin im Winter 2004/2005 von einer Serie von Ehrenmorden erschüttert wurde, bat sie die Regierung, bestimmte Gesetze zu stärken. Als Reaktion begann eine populäre türkische Zeitung eine Kampagne gegen die "verrückte Anwältin“.
Seyran Ateş sitzt in ihrem Büro im Zentrum von Berlin und schaukelt ihr Baby. Am Samstag würde die Anwältin mit türkisch-kurdischem Hindergrund lieber mit ihrer kleinen Tochter spielen als die Presse zu treffen. Aber sie hat unter der Woche keine Zeit. Seyran ist eine gefragte Frau, immer beschäftigt, Interviews zu geben oder Reden zu halten. Das Medieninteresse an ihr hat sich erhöht, nachdem Berlin der Tatort von fünf Ehrenmorden innerhalb von vier Monaten wurde. Fünf junge türkische Frauen, die ihr eigenes Leben führten und nicht in Zwangsheiraten einwilligten, wurden von Männern ihrer eigenen Familien getötet, weil sie die "Familienehre" beschmutzten. Seyran versucht den Frauen zu helfen, bevor es zu spät ist. Sie vertritt sie vor Gericht, bei der Annullierung von Zwangsheiraten oder der Scheidung von gewalttätigen Ehemännern. Und sie vertritt sie politisch in der Öffentlichkeit.
Ihre öffentlichen Reden setzten sie einem Risiko aus. Nachdem sie 1984 angeschossen wurde, ist sie sich der Gefahr nur allzu bewusst. Ihr linker Arm ist gelähmt und schmerzt immer noch. Sie brauchte mehrere Jahre, um ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Jetzt fühlt sie sich erneut bedroht, da die populäre türkische Zeitung "Hürriyet“, in Deutschland viel gelesen, eine Kampagne gegen sie gestartet hat. "Diese Anwältin ist verrückt geworden“, schrieb die Zeitung. Sie habe behauptet, alle Türken seien Verbrecher. Natürlich hat Seyran das nie gesagt. Sie ist weder Männerhasserin noch Islamhasserin. Sie versucht, so vorsichtig wie möglich zu argumentieren. Aber sie will nicht ihren Glauben daran aufgeben, dass Frauen dieselben Rechte haben wie Männer. Ihre Klienten/-innen kennen und verstehen ihre Position. "Viele sagen, dass ich ihnen Mut und Stärke gebe“, strahlt sie vor Freude. "Jede Frau, die mein Büro glücklich verlässt, ist ein Erfolg für mich. Frauenrechte sind mein Lebenswerk.“
Ungefähr zwei Millionen Menschen in Deutschland sind türkischer oder kurdischer Abstammung. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Diskriminierung haben dazu geführt, dass sie eine traditionelle Lebensweise führen. Viele junge Frauen müssen arrangierte Ehen akzeptieren. Wenn sie rebellieren, laufen sie Gefahr, von den Männern ihrer eigenen Familie getötet zu werden.