Der Friedensprozess in Kolumbien ist schon seit mehreren Jahren immer wieder Thema im FNF. Gleich mehrere Veranstaltungen zu dem Thema haben wir in der Vergangenheit, immer in Kooperation mit dem Internationalen Frauenzentrum (ifz) Bonn organisiert. Da fügte es sich ganz wunderbar, dass unsere aktuelle Praktikantin Corinna Zipper großes Interesse an Kolumbien hat und ihre Kenntnisse nun hier im FNF einbringen kann. Am Mittwoch, den 17.10.2018, besuchte sie zu diesem Zweck die Konferenz „Aspects of transitional justice in Colombia“. Dort wurden sowohl juristische als auch kulturelle Aspekte des kolumbianischen Übergangssystems in den Frieden diskutiert. Ein weiterer Vortrag, besonders interessant für die Freund*innen des Frauennetzwerks für Frieden, hat die Gender-Perspektive im kolumbianischen Friedensabkommen thematisiert. Die Konferenz bot viele spannende Einblicke: Nicht nur in Transitional Justice, sondern auch in den Friedensprozess, bzw. die entstehende Friedenskultur in Kolumbien im Allgemeinen.
Die Veranstaltung fand in der Universität zu Köln statt, organisiert vom Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, in Kooperation mit dem Institut für Friedenssicherungsrecht und der Forschungsgruppe Transitional Justice. Die Vorträge wurden von Studierenden der Universidad Externado in Bogotá gehalten sowie von ihrer Dozentin Dr. Natalia Bautista Pizarro.
Der kolumbianische bewaffnete Konflikt hat über Jahrzehnte angedauert und über 8 Millionen Opfer gefordert. Im Jahr 2016 hat die Regierung mit der größten Guerilla des Landes, der FARC-EP, einen Friedensvertrag unterzeichnet. Das Land befindet sich nun in der Phase des Post-Konflikts, das heißt der Vertrag muss nun durch konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Transitional Justice im kolumbianischen Kontext umfasst weit mehr als ein Amnestiegesetz für die ehemaligen Kämpfer*innen der FARC und die juristische Verurteilung von Kriegsverbrechen: Insbesondere stehen die Opfer des Konflikts im Vordergrund, genauso wie Versöhnung, Wahrheitsfindung und der Versuch, strukturelle Probleme des Landes zu transformieren. Hierdurch soll vermieden werden, dass neue Konflikte ausbrechen und sich die Geschichte widerholt.
Auf der Konferenz wurde Transitional Justice auf sehr vielfältige Weise vorgestellt und diskutiert. Die Vorträge des Vormittags behandelten hauptsächlich die formal/juristischen Aspekte des Friedensabkommens. Hervorgehoben wurde hierbei Folgendes: Im Vergleich zu vergangenen Friedensprozessen in Kolumbien weist der derzeitige Prozess eine wichtige Änderung auf: Zum ersten Mal in der kolumbianischen Geschichte stehen die Opfer des bewaffneten Konfliktes im Vordergrund und nehmen einen wichtigen Platz in fünf von sechs Unterpunkten des Friedensabkommens ein, Transitional Justice in Kolumbien hat sich also verändert. Die Unterpunkte umfassen unter anderem eine Landreform, erweiterte demokratische Partizipationsmöglichkeiten und Lösungsansätze zur Beendigung des Drogenproblems.
Nichtsdestotrotz wurden im Rahmen der Vorträge auch die „klassischen“ Aspekte von Transitional Justice erläutert und die Frage beantwortet, die sich wahrscheinlich viele Interessierte stellen: Wie werden die ehemaligen Kämpfer*innen und andere in den Konflikt integrierte Akteur*innen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen? Dies wurde folgendermaßen erklärt: Die ehemaligen Kämpfer*innen der FARC-EP niedrigen Ranges erhalten Amnestie. Die am bewaffneten Konflikt beteiligten Akteur*innen in Befehlspositionen aus den Reihen der FARC sowie des Militärs werden von einem Sondergericht (Jurisdicción Especial para la Paz, JEP) verurteilt. Je nachdem, ob die Angeklagten sofort die Verantwortung für ihre begangenen Taten übernehmen und ein vollständiges Geständnis ablegen oder nicht, werden die Strafen verhängt. Bei einem sofortigen Geständnis werden sogenannte „alternative“ Strafen verhängt. Die Täter*innen verbüßen in diesem Fall ihre Strafe nicht im Gefängnis, sondern führen unter Bewachung bestimmte Arbeiten zum Wohl der Gesellschaft aus, wie z.B. die Befreiung von Minen ländlicher Gebiete. Wenn die Angeklagten kein vollständiges Geständnis ablegen und dennoch für bestimmte Taten schuldig gesprochen werden, drohen Freiheitsstrafen von bis zu 20 Jahren. Hervorgehoben wurde bei der Konferenz, dass diese Vorgehensweise den Standards des Rom Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs entspricht.
Der Nachmittag der Konferenz war größtenteils der kulturellen Dimension des kolumbianischen Friedensprozesses gewidmet. In vielen Stadtteilen, Dörfern und Regionen haben sich Mechanismen entwickelt, um die eigene Geschichte im bewaffneten Konflikt zu reflektieren und zu verarbeiten. Auf diese Weise werden Versöhnungsprozesse eingeleitet und die Erinnerung an das Geschehene aufrechtgehalten. Letzteres geschieht auf vielfältige Arten: Durch Dialog, Kunst und Musik. Kolumbien ist ein Land großer kultureller Vielfalt. Demnach ist auch die Friedenskultur sehr facettenreich. Dies wurde in einem Vortrag durch zahlreiche konkrete Beispiele belegt: Sehr bewegend war die Thematisierung der Bewegung „AgroArte“ aus der Comuna 13 in Medellín. Die Comuna 13 gilt als einer der am meisten vom bewaffneten Konflikt betroffenen Stadtteile. „AgroArte“ umfasst zum einen Projekte rund um urbane Landwirtschaft. Denn gemeinsam in den eigenen Nachbarschaften Gärten anzulegen, bedeutet sich Freiraum wiederanzueignen, was für viele Jahre wegen der Präsenz paramilitärischer Gruppen, der Guerilla sowie auf Grund von Übergriffen von Seiten des Militärs nicht möglich war. Zum anderen wurde mit der Zeit der Hip Hop in die Bewegung „AgroArte“ integriert, durch den die von Gewalt geprägte Vergangenheit aufgearbeitet wird. Ein Beispiel lokaler Friedenskultur durch Hip Hop in der Comuna 13 findet ihr hier. (Englische Untertitel sind verfügbar)
Besonders interessant für die Freund*innen des Frauennetzwerks für Frieden ist sicherlich der letzte Vortrag „GENDER PERSPECTIVE IN THE COLOMBIAN PEACE AGREEMENT“ gewesen. Thematisiert wurden sowohl allgemeine Aspekte der Gender-Perspektive im kolumbianischen Friedensabkommen als auch die Schwierigkeiten und Vorurteile bezüglich der Integration des Genderfokus:
Nachdem die Friedensverhandlungen bereits seit zwei Jahren liefen, wurde durch die Forderungen zahlreicher Frauenorganisationen sowie durch das Engagement der Frauen aus den Reihen der FARC-EP im Jahr 2014 die Gender Kommission eingerichtet. Eine wichtige Rolle spielte hierbei die Resolution 1325, auf die sich lautstark berufen wurde. Letztere wurde im Jahr 2000 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet und legt politische Richtlinien für eine geschlechtersensible Friedens- und Sicherheitspolitik fest. Ein Kernpunkt der Resolution 1325 ist die Integration von Frauen auf allen Ebenen in Friedensprozesse.
Während des Vortrages wurde hervorgehoben, dass die Gender Kommission im kolumbianischen Friedensprozess einen Meilenstein in der Geschichte der Friedensverhandlungen darstellt. Sie wurde mit dem Ziel eingerichtet, die Stimmen von Frauen im Friedensprozess zu berücksichtigen und die Gender-Perspektive in das Abkommen zu integrieren. Letzteres stieß, initiiert insbesondere durch die Propaganda rechter politischer Strömungen, auf Widerstand in vielen Kreisen der kolumbianischen Gesellschaft: So wurde die Gender-Perspektive mitunter als „Genderideologie“ abgetan. Außerdem wurde in den Medien die Lüge verbreitet, das Bewusstsein für Gender führe Jugendliche zur Homosexualität. Deshalb ist es wichtig zu beachten, dass die Gender Kommission zwar ein Meilenstein in der Geschichte ist, in Kolumbien aber insgesamt Gendersensibilität, Gleichberechtigung und die Überwindung patriarchaler Strukturen in weiter Ferne liegt!
Die Konferenz wurde mit vielen dankenden Worten beendet. Auch wurde auf den derzeitigen Stand des kolumbianischen Friedensprozesses hingewiesen. Seit den Präsidentschaftswahlen in Juni, bei denen Kandidat Iván Duque gewonnen hat, fehlt in vielen Bereichen der politische Wille zur Implementierung des Friedensabkommens. Während des Wahlkampfes war von Duque bereits angekündigt worden, im Falle eines Wahlgewinns das Abkommen zu „modifizieren“. Dies stellt eine besondere Gefahr für den Friedensprozess dar: Viele ehemalige Kämpfer*innen der FARC sind im Begriff sich wieder zu bewaffnen, wenn die Umsetzung des Abkommens in fundamentalen Aspekten weiterhin verzögert wird.