Die Waffen nieder!
Nein zum Krieg in der Ukraine!
Ja zu Deeskalation, Abrüstung und Frieden!
Wir verfolgen mit großer Bestürzung die Entwicklungen der letzten Tage und Wochen in der Ukraine. Die Welt, auf die wir vor wenigen Wochen noch geschaut haben, ist heute eine andere. Selbst ein Atomkrieg scheint wieder möglich. Und doch ist es – anders als viele Kommentator*innen formulieren – nicht das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass es wieder kriegerische Auseinandersetzungen in Europa gibt. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien, der Nordirlandkonflikt, der immer noch andauernde Konflikt um Bergkarabach, der Krieg in Georgien 2008 und der Krieg in der Ukraine, der bereits 2014 begonnen hat, sind dafür nur einige Beispiele. Jedes Menschenleben, das in diesen Konflikten, in allen Kriegen weltweit und nun auch im neuerlichen Krieg in der Ukraine verloren wurde, ist eines zu viel. Wir trauern um die Opfer und sind mit unseren Herzen bei all jenen, die unter dem Krieg in der Ukraine, aber auch in den Kriegen im Jemen, in Afghanistan, in Syrien und in so vielen anderen Teilen der Welt auf so vielfache Art leiden.
Der Pazifismus wird in diesen Tagen – und immer, wenn ein neuer Krieg begonnen wird oder terroristische Gewalt die Welt erschüttert – auf eine harte Probe gestellt. Auch wir haben nicht alle Antworten auf den Krieg in der Ukraine. Auch wir verspüren neben der Empörung auch viel Angst, Ratlosigkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Doch einige Dinge, von denen wir überzeugt sind, wollen wir uns ins Bewusstsein rufen und hier einige Positionen dazu formulieren:
1. Kriege dürfen nie Mittel der Politik sein!
Wir verurteilen mit aller Deutlichkeit den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine. Die Begründungen der russischen Regierung, insbesondere die vermeintliche „Entnazifizierung“ der Ukraine, weisen wir zurück. Wir bekennen uns ausdrücklich zum Gewaltverbot der UN-Charta, das Angriffskriege verbietet. Dabei erinnern wir jedoch auch an die politischen Versäumnisse der letzten Jahre und Jahrzehnte, die es nicht geschafft – und auch überwiegend nicht intendiert – haben, eine Form der gemeinsamen europäischen und weltweiten Sicherheitsarchitektur aufzubauen. Die NATO-Osterweiterung, großangelegte Militärmanöver wie Defender oder Sapad oder die nukleare Aufrüstung auf beiden Seiten haben dazu beigetragen, dass Sicherheit niemals gemeinsam, sondern immer nur gegeneinander gedacht wurde. Das rechtfertigt jedoch in keinster Weise den Angriffskrieg der russischen Regierung gegen die Ukraine. Doch es erinnert uns daran, dass Kriege nicht aus dem Nichts entstehen und immer eine Vorgeschichte haben.
→ Wir fordern deshalb kurz-, mittel- und langfristig den Aufbau einer Sicherheitsarchitektur, die nicht die vermeintliche Sicherheit einzelner Staaten oder Staatenbünde zum Ziel hat, sondern im Sinne eines feministischen, friedenslogischen Sicherheitsverständnisses die gemeinsame Sicherheit aller Menschen, und diese ins Zentrum all ihrer Überlegungen stellt!
2. Atomwaffen dürfen niemals eingesetzt werden!
Wir verurteilen das Vorgehen der russischen Regierung, ihre Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen. Nuklearwaffen dürfen niemals eingesetzt werden, auch nicht als politisches Druckmittel. Ein Atomkrieg würde nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland, uns alle und die Welt, wie wir sie kennen, vernichten. Kein Staat der Welt ist sicherer mit Atomwaffen. Solange es Atomwaffen gibt, besteht die Gefahr, dass sie auch eingesetzt werden oder durch Unfälle detonieren. Wir setzen uns deshalb weiterhin für eine Welt ohne Atomwaffen ein.
→ Wir fordern, dass alle Staaten ihre Atomwaffenarsenale abrüsten!
→ Wir fordern, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt!
→ Wir fordern, dass die NATO auf die Provokation der russischen Regierung nicht ihrerseits durch eine Alarmstellung ihrer nuklearen Arsenalse reagiert! Jeder weitere Schritt in Richtung eines Atomkriegs muss unter allen Umständen vermieden werden.
3. Mehr Waffen können nie die Lösung für Konflikte sein!
Wir verurteilen alle Maßnahmen, die zu einer weiteren militärischen Eskalation in der Ukraine führen oder führen können. Dazu gehören insbesondere Waffenlieferungen in die Konfliktregion und weitere militärische und auch rhetorische Aufrüstung. Auch wenn Waffenlieferungen von Seiten der ukrainischen Regierung und Bevölkerung häufig gefordert werden: Wir sind fest davon überzeugt, dass dieser Krieg nicht militärisch gewonnen, geschweige denn die ihm zugrunde liegenden Konflikte militärisch gelöst werden können. Jede Waffenlieferung verlängert den Krieg, verschärft die Kriegsdynamik und wird zu noch mehr Leid und Toten führen. Wir glauben, auch wenn es derzeit schwerfällt, fest an die Kraft der Diplomatie, der politischen Lösungen und des zivilen Widerstands. Jede Möglichkeit der gewaltfreien Konfliktlösung muss ergriffen werden.
→ Wir fordern eine sofortige Waffenruhe und die Rückkehr an die Verhandlungstische!
→ Dabei fordern wir insbesondere, dass auch diejenigen gehört werden, die nicht mit Waffen am Krieg beteiligt sind! Dies sind insbesondere Frauen und marginalisierte Gruppen. Die Vergangenheit zeigt: Sind Frauen an Friedensverhandlungen wesentlich beteiligt, sind die Vereinbarungen signifikant erfolgreicher und nachhaltiger. Die UN-Sicherheitsratsresolution 1325 und ihre Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe von Frauen in Friedensprozessen muss umgesetzt werden.
4. Aufrüstung kann nie die Antwort auf Krieg sein!
Wir verurteilen die Ankündigung von Bundeskanzler Scholz, einen einmaligen Sonderfonds für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro einzusetzen sowie den deutschen Verteidigungshaushalt langfristig auf jährlich mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen zu wollen. Damit würden die Mittel für das Militär langfristig in etwa verdoppelt. Eine solche massive Erhöhung des Militärhaushalts ohne gesellschaftliche, innerparteiliche und parlamentarische Debatte vor dem Hintergrund eines akuten Krieges durchdrücken zu wollen, ist nicht nur zutiefst undemokratisch, sondern nutzt auch die gerade empfundenen Ängste und Unsicherheiten der Bevölkerung schamlos aus. Derzeit profitieren vor allem zwei gesellschaftliche Gruppen von den Plänen der Bundesregierung: die Waffenhersteller*innen, deren Aktienkurse kurz nach der Ankündigung in die Höhe schossen, und die Aktionär*innen, die um der eigenen Profitgier willen ihr Geld in Krieg und Aufrüstung investieren.
→ Wir stellen uns entschieden gegen die Pläne der Bundesregierung und fordern von den Abgeordneten des Deutschen Bundestags, diesen Erhöhungen nicht zuzustimmen!
→ Gleichzeitig fordern wir im Sinne einer feministischen Friedenspolitik, die Mittel für ein gemeinsames Verständnis von Sicherheit und Frieden einzusetzen: für Friedensförderung, Zivile Konfliktbearbeitung und nachhaltige Entwicklung, für Bildung und Demokratieförderung, für Klimaschutz und Geschlechtergerechtigkeit, für Gesundheit und Soziales und für alle Bereiche, von denen wir alle gemeinsam profitieren – und nicht nur einige wenige.
5. Die EU muss allen Menschen auf der Flucht sichere und offene Fluchtwege ermöglichen!
Wir begrüßen ausdrücklich die Bereitschaft vieler europäischer Länder, flüchtende Menschen aus der Ukraine aufzunehmen. Dabei erinnern wir uns allerdings auch an die Reaktionen Ungarns, Polens und anderer europäischer Länder, als Menschen aus anderen Teilen der Welt dorthin flüchten wollten. Flucht ist kein Verbrechen! Bomben unterscheiden nicht zwischen Menschen, Hautfarben, Herkunftsländern oder Pässen. Wir verurteilen das diskriminierende und rassistische Vorgehen gegenüber Schwarzen Menschen und People of Colour an der ukrainischen und anderen europäischen Grenzen sowie die weiterhin fortbestehende, gewaltsame Abschottungspolitik der EU gegenüber Menschen, die auf anderen Wegen versuchen, vor Krieg, Unfreiheit und Armut nach Europa zu fliehen.
→ Wir solidarisieren uns mit allen Menschen auf der Flucht und fordern, dass allen gleichermaßen das Recht auf Aufnahme und auf ein faires Asylverfahren zuteilwird!
Gleichzeitig erinnern wir auch daran, dass das, was europäische Länder gerade bereit sind zu leisten, viele Länder des Globalen Südens bereits seit Jahrzehnten leisten, jedoch nicht die gleiche Anerkennung dafür bekommen.
6. Frauen, Mädchen und marginalisierte Gruppen benötigen besonderen Schutz!
Frauen und Mädchen sind von Kriegen häufig in besonderem Maße betroffen, etwa durch sexualisierte Gewalt, durch die Gefahr von Menschenhandel und Zwangsprostitution auf der Flucht oder durch den Anstieg häuslicher Gewalt im und nach dem Krieg. Auch marginalisierte Gruppen wie LGBTQI*-Personen oder Menschen mit Behinderung sind in Kriegen und auf der Flucht besonders gefährdet.
→ Wir fordern von der Bundesregierung und anderen europäischen Ländern, die Förderung entsprechender Schutzeinrichtungen vor Ort massiv auszuweiten sowie sicherzustellen, dass in Unterkünften für Geflüchtete hierzulande z.B. psychologische Betreuung, Safe Spaces und geschultes Personal gewährleistet sind!
7. Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht!
Niemand darf zum Kampf an der Waffe gezwungen werden. Jeder Mensch, jeder Mann muss selbst entscheiden dürfen, ob er in den Krieg ziehen, den Kriegsdienst verweigern oder auch vor dem Krieg flüchten will. Wir kritisieren daher die Entscheidung der ukrainischen Regierung, männliche Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren – und auch nicht-binäre Menschen, in deren Pässen noch das männliche Geschlecht angegeben ist – nicht mehr aus dem Land zu lassen. Diese werden dabei oft gegen ihren Willen von ihren Familien getrennt. Wir verurteilen auch die Rekrutierung junger russischer Männer, die oftmals unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in den Krieg geschickt werden. Männer werden dabei zum Opfer eines patriarchalen Systems, das ihnen die Rolle des kriegerischen Kämpfers und des bewaffneten Beschützers ihrer Familien und Völker zuschreibt und ihnen im Falle einer Verweigerung Feigheit und Unmännlichkeit vorwirft. Ängste, pazifistische Überzeugungen, Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Krieges oder ein gewaltfreies Verständnis des Schutzes und der Verantwortung gegenüber ihren Familien und Staaten werden ihnen dabei nicht zugestanden.
→ Wir unterstützen deshalb alle Initiativen auf ukrainischer, russischer oder auch belarusischer Seite, die eine neue Form der Männlichkeit vermitteln wollen und die Männern einen Ausweg aus dem System des Krieges bieten.
Diese Initiativen werden oft von Frauen oder Frauengruppen wie den „Soldatenmüttern“ initiiert. Diese werden dabei nicht selten selbst Opfer staatlicher Verfolgung.
→ Wir fordern von den EU-Staaten, Kriegsdienstverweigernden sowohl von ukrainischer als auch von russischer und belarusischer Seite sowie Menschen, die öffentlich Kriegsdienstverweigerung unterstützen und deswegen politisch verfolgt werden, hier in der EU Asyl zu gewähren.
8. Russland ist nicht gleich Putin!
Auch die russische Bevölkerung steht trotz der massiven medialen Einflussnahme von Seiten der Regierung nicht geschlossen hinter dem Krieg. Wir stehen an der Seite der Menschen in Russland, die trotz der Gefahr drastischer Strafen gegen den Krieg ihrer Regierung demonstrieren. Dabei wurden bereits mehrere tausend Menschen bei Anti-Kriegs-Demos verhaftet.
→ Wir bewundern den Mut dieser Menschen und zeigen uns solidarisch mit ihnen! Wir verurteilen die Verhaftungen und fordern die sofortige Freilassung!
Auch viele Russ*innen und russisch-stämmige Menschen im Ausland schließen sich hier in Deutschland und weltweit den Friedensdemonstrationen an, bieten ihre Dienste als Übersetzer*innen für Geflüchtete an oder zeigen ihren Widerspruch zur Politik der russischen Regierung und ihre Solidarität zur ukrainischen Bevölkerung in den sozialen Medien. Nicht selten werden Russ*innen und russisch-stämmige Menschen im Ausland derzeit jedoch auch Opfer von pauschalisierenden Vorverurteilungen, Hate Speech und gewaltsamen Angriffen.
→ Wir verurteilen jegliche Form dieser rassistischen Pauschalisierung und danken allen, die sich gemeinsam an der Seite ihrer Nachbar*innen für Frieden und – im wahrsten Sinne des Wortes – Völkerverständigung einsetzen.
9. Abrüstung muss auch in der Sprache beginnen!
Wir weisen sexualisierende Kriegsrhetorik zurück: Der Krieg gegen die Ukraine ist keine „militärische Vergew***“!" Diese Formulierung lenkt von tatsächlicher sexualisierter Gewalt in Kriegen ab, nährt das patriarchale System und befeuert das Narrativ der russischen Regierung, dass es die Ukraine unterzuordnen gelte. Keinesfalls dürfen so Waffenlieferungen oder anderes militärisches Eingreifen legitimiert werden. Wir richten uns ferner gegen jede Glorifizierung oder Romantisierung des Krieges. Krieg führt immer zu Zerstörung, Tod, Leid und Traumata, während andere davon profitieren. Nichts am Krieg führen ist heroisch.
→ Wir fordern deshalb von allen Regierungen, allen Konfliktparteien, aber auch von den Medien und uns allen, auch rhetorisch abzurüsten und nicht in eine militarisierte, Gewalt glorifizierende Sprache zu verfallen!
10. Und schließlich: Es ist nie umsonst, sich für Frieden einzusetzen!
In den vergangenen Wochen waren hier in Deutschland und weltweit bereits Millionen von Menschen für den Frieden auf der Straße, haben gemeinsam protestiert, gebetet oder gesungen, haben online und offline Petitionen und Appelle unterschrieben oder in den sozialen Medien sichtbare Zeichen für den Frieden gesetzt. Auch wenn es wenig erscheint, so ist doch jedes kleine Aufstehen für den Frieden ein Zeichen der Solidarität für die Menschen in der Ukraine und in anderen Kriegen weltweit. Sich für Frieden einzusetzen ist niemals naiv. Demonstrationen und andere sichtbare Zeichen müssen in einer Demokratie politisches Gehör finden!
→ Wir fordern von uns allen: Gehen wir weiterhin auf die Straßen, seien wir viele, seien wir laut und setzen der Kriegsmaschinerie unseren gemeinsamen Ruf nach Frieden entgegen! Und seien wir auch hier vor Ort solidarisch, wo wir können: durch Sach- und Geldspenden an Hilfsorganisationen, durch die Bereitstellung von Unterkünften für Geflüchtete oder durch ehrenamtliches Engagement in Friedens- oder Menschenrechtsgruppen.
Wir stehen fest an der Seite der Bevölkerung der Ukraine, auf deren Rücken machtpolitische Interessen ausgetragen werden. Wir fordern die Einhaltung der Menschenrechte. Frieden IST ein Menschenrecht. Und Frieden bedeutet mehr als die Abwesenheit von Krieg. Im Sinne einer feministischen Friedenspolitik setzen wir uns gegen Systeme der Unterdrückung, gegen Militarisierung und Krieg und für Frieden und Gerechtigkeit für alle ein.
Mit den Worten der ersten weiblichen Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner fordern wir:
Die Waffen nieder! Lay down your arms! Опустите оружие!
Gemeinsam für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte, in der Ukraine und überall auf der Welt!
Bonn, im März 2022
Der Vorstand des Frauennetzwerk für Frieden e.V.