Aus Anlass des 180. Geburtstages von Bertha von Suttner und des 30-jährigen Bestehens der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK widmete sich das Symposium am 23. September der Frage, was die Forderung nach dem Niederlegen der Waffen heute bedeutet und welche Herausforderungen und Perspektiven für Pazifismus und Friedensbewegung daraus entstehen.
Es ist die Forderung nach dem Ende der bewaffneten Gewalt, ein Schrei nach der Einsicht in die Nutzlosigkeit und fundamentale menschliche Verirrung des Militarismus: „Die Waffen nieder!“ Der Titel des Romans von Bertha von Suttner verursacht damals wie heute Irritation, er eckt an, aber er eröffnet bis heute Wege, die Frage nach der friedlichen Beilegung von Konflikten und Beendigung von Kriegen aktiv zu stellen. Welche Handlungen unternehmen wir, welche unterlassen wir? Wer spricht für wen über welche Handlungen im Krieg, wie können wir Krieg verhindern?
Eröffnet wurde das Symposium durch einführende Worte von Vertreter*innen der veranstaltenden Organisationen – von Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative, Elise Kopper vom Frauennetzwerk für Frieden sowie von David Scheuing von der DFG-VK und ihrer Bertha-von-Suttner-Stiftung. Für die Stiftung berichtete er anhand eines Videos über die mehr als 300 geförderten geförderten Projekte der letzten 30 Jahre. David Scheuing betonte, dass das Ziel des Symposiums sei, im Dialog mit den ca. 80 Teilnehmer*innen Impulskräfte für das heutige Friedensengagement zu liefern. Zudem rief er zu einer gegenseitigen Befruchtung von Wissenschaft und Friedenspraxis auf und kritisierte den Zwangscharakter der Wehrpflicht. Gemeinsam solle eine Friedenskultur sowie eine atomwaffenfreie Zukunft geschaffen werden.
Anschließend referierte Theologin Margot Käßmann über ihr persönliches „Die Waffen nieder“ und begründete ihren Pazifismus auch in Zeiten des Krieges. In ihrer Rede betonte sie, dass sie sich in der Friedensarbeit in Anlehnung an ein Zitat von Stefan Zweig teils fühle, wie Don Quijote in seinem Kampf gegen Windmühlen. Grund seien zu wenig Anerkennung von Friedensarbeit seitens der Politik und fehlende Aufmerksamkeit der internationalen Gesellschaft gegenüber den 216 Konflikten, die aktuell auch außerhalb des Globalen Nordens stattfinden. Zusätzlich kritisierte sie die aktuelle Aufrüstungspolitik in Deutschland mit den Worten „die Geschichte lehrt andauernd, aber sie findet keine Schüler“. Sie rief dazu auf
- Rüstungsexporte zu stoppen und zivile Mittel vor militärischen Mitteln zu fördern,
- der Militarisierung der Gesellschaft zu widerstehen und eine Heroisierung von Krieg zu verhindern,
- Atomwaffen abzuschaffen und das Leid, welches durch sie verursacht wird, zu thematisieren. Hier sprach sie sich gleichermaßen klar dagegen aus, Religion zur Verherrlichung von Krieg heranzuziehen, da Krieg nie gerecht sein könne. “Die Waffen nieder“ solle also nicht als Kapitulation, sondern als Möglichkeit zur friedlichen Konfliktlösung ernst genommen werden.
- Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht anzuerkennen, Kriegsdienstverweigerer dementsprechend nicht als Feiglinge zu diffamieren und ihnen im Falle politischer Verfolgung Asyl zu gewähren,
- gegen Feindbilder einzustehen
- sowie Zukunftsbilder des Friedens zu entwerfen. In alternativen Friedensvisionen sei kein Platz für gegenseitige Abschreckung – stattdessen solle man abrüsten statt aufrüsten und mehr staatliche Gelder in zivile Konfliktbearbeitung stecken. Hier kritisierte sie gleichermaßen die Reduzierung des Etats für Nothilfe und Bildungsentwicklung durch die Bundesregierung.
Anschließend folgte ein virtueller Impulsvortrag zu Pazifismus in militaristischen Zeiten in Anlehnung an Suttner von Jasmin Lörchner, einer freiberuflichen Journalistin mit Fokus auf Geschichte. In ihrem Podcast namens „HerStory“, auf Social Media und ihrem Buch „Nicht Nur Heldinnen“ thematisiert sie Frauengeschichte und queere Geschichte. In ihrem Podcast war Bertha von Suttner eine der Personen, mit deren Geschichte sie sich näher befasste. Entsprechend führte sie die Teilnehmenden durch das Leben Bertha von Suttners und ihr Engagement für den Frieden. Ihre pazifistischen Überzeugungen und die der Friedensbewegung seien essentiell dafür, Militarismus und bewaffnete Konfliktlösung als außenpolitische Strategie zu hinterfragen. Ihr Engagement bilde neben dem Engagement anderer Friedenskämpfer*innen die Grundlage der heutigen Friedensarbeit internationaler Organisationen wie beispielsweise der United Nations. Sie warf außerdem die moralische Frage in den Raum, ob im Falle eines Aggressionskrieges, wie es gerade im Russland-Ukraine Krieg der Fall sei, ein Niederlegen der Waffen wirklich die beste Lösung sei, wenn das im Umkehrschluss dem Aggressor das Recht zur Unterdrückung der Bevölkerung und widerstandslosen Eroberung gebe.
Die folgende Diskussionsrunde beschäftigte sich mit dem Thema „Unser „Die Waffen nieder“ - Was kann uns Suttner heute noch sagen?“. Die belarusische Friedensaktivistin Olga Karatch schaltete sich virtuell zu. Bereits seit ihrer Jugend kämpft sie gegen die Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten des belarusischen Systems. Hierbei spricht sie sich klar für Kriegsdienstverweigerung aus: KDV stelle ein effektives Mittel dar, um dem Krieg die Soldaten zu entziehen und ihn somit zu stoppen. Allerdings fehle auch hinsichtlich der 5000 KDVer in Belarus die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft – die Verantwortung sei hauptsächlich Pazifist*innen überlassen. Dementsprechend rief sie zur Aufnahme der KDVer in anderen Staaten auf, um sie der Verfolgung in ihren Heimatstaaten zu entziehen. Im Rahmen der #ObjectWarCampaign ruft sie zu Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern auf.
Bianca Walther vom Geschichtspodcast „Frauen von damals“, setzte sich damit auseinander, wie Frauen ihre Mittel nutzten, um sich Freiräume und Handlungsmöglichkeiten zu schaffen. Welche Mittel hatten sie? Welche Hindernisse standen ihnen gegenüber? Welche Strategien standen ihnen zur Verfügung, Rahmenbedingungen zu verändern, und wie arbeiteten sie mit, in und gegen die Strukturen der Welt, in die sie hineingeboren wurden? Für uns heute gelte es, auf der friedenspolitischen Arbeit von Pionierinnen wie Bertha von Suttner aufzubauen und auch Dinge in Frage zu stellen und weiterzuentwickeln. Feministische Außenpolitik heute müsse beispielsweise intersektional gedacht werden. Mahnungen allein brächten nichts (das habe Suttner, die kaum andere Mittel hatte, schmerzlich erfahren); Entscheidungs- und Deutungsmacht müsse auf breitere Füße gestellt werden, und es brauche enorme Anstrengungen, neue Männlichkeitsbilder (masculinities) zu schaffen.
Petra Keppler vom Bertha von Suttner Peace Institute Den Haag schlüpfte in die Rolle Suttners und rief als Bertha vor allem dazu auf, Möglichkeiten der Finanzierung von Friedensarbeit zu suchen. Frieden müsse finanziert werden, und auch Bertha von Suttner habe den Großteil der Dotierung ihres Friedensnobelpreises in die Friedensarbeit gesteckt. Sie hat dabei insbesondere Mäzene im Blick, die zu Spenden im höheren Bereich motiviert werden sollten. Keppler wurde begleitet von Marie-Antoinette Marteil, die mit der Studie „Bertha von Suttner (1843-1914) - Laienaktivistin, Feministin, Pazifistin: Das Werk einer österreichischen Aristokratin, die mit der Tradition brach“ promoviert hatte. Auch sie betonte die heutige Relevanz von Suttners Gedanken.
Während der anschließenden Pause konnten die Teilnehmer*innen Werkstattgespräche zu Förderprojekten der Bertha-von-Suttner Stiftung besuchen:
Jürgen Menzel und Andrej Novikov von der Non-Profit-Organisation „Act4Transformation“ stellten ihr Projekt zur Unterstützung von KDVern aus Russland, der Ukraine und Belarus vor. Neben einer Beratungshotline bieten sie rechtliche Beratung zum Asylrecht in der EU, Hilfe beim Finden einer Wohnung, einer Arbeitsstelle und von Kontakten sowie Meetings und Seminare an. Zusätzlich ermöglichen sie Vernetzung mit anderen KDVern an und betreiben Lobbyarbeit für die Rechte von KDVern, ergänzt durch Öffentlichkeitsarbeit. Die Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK unterstützt bei der Dokumentation von Fällen der Verletzung des Rechts auf KDV, der Dokumentation von russischen KDV in der Region sowie der Erstellung einer Broschüre über die Situation von KDV in Armenien, Aserbaidschan, Georgien und Russland.
Wolfram Kastner und Hans Wallner stellten das Projekt „DenkMalKrieg – DenkMalFrieden“ zur Behandlung von Kriegsmonumenten in Deutschland und Österreich vor. Das Projekt regt zum Nachdenken darüber an, wie mit Kriegs- und Heldenverherrlichungen heute umgegangen werden kann und wie die Kriegerdenkmäler – einem heutigen friedlichen Bewusstsein entsprechend – zwar erhalten, aber ergänzt und umgestaltet werden können. Die daraus entstandene Ausstellung war auch im Foyer des veranstaltungsgebäudes zu sehen.
Heide Schütz und Elise Kopper vom Frauennetzwerk für Frieden (FNF) stellten die Bertha-Bahn vor: Anlässlich des 70. Jubiläums der Namensgebung des Bertha-von-Suttner-Platzes in Bonn wurde eine Straßenbahn der Linie 61/62 nach einem Entwurf des Künstlers Frans Valenta mit einem Abbild Bertha von Suttners inklusive ihrer Zitate „Die Waffen nieder!“ und „Rache und immer wieder Rache! Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden.“ verziert. Zusätzlich sind Eckdaten ihres Lebens vermerkt. Die Straßenbahn, die seit 2019 durch Bonn fährt, leistet seitdem täglich einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung an Bertha von Suttner. Projektträger*innen sind das FNF und das Netzwerk Friedenskooperative. Freundlich unterstützt wurde das Projekt durch die Stadtwerke Bonn, die Stadt Bonn und das Stadtarchiv Bonn.
Das zweite Panel befasste sich mit einem kritischen Blick auf Pazifismus und Friedensbewegung heute. Als erste Rednerin sprach Mai Ali Shatta als Repräsentantin von Sudan Uprising, eine Organisation, die Aufmerksamkeit auf den anhaltenden Krieg im Sudan lenkt. Sie engagiert sich für mehr Diversität in der Friedensszene und betont die Wichtigkeit, einander die Hand zu reichen und sich auch mit Konflikten außerhalb des Globalen Nordens auseinanderzusetzen.
Julia Nennstiel vom „Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung“ (IFGK) reflektierte in ihrem Impulsvortrag über die Frage, mit welchen Herausforderungen sich die aktuelle pazifistische Forschung befasst und wie man diesen begegnen könne. Sie resümierte, dass aktuelle pazifistische Forschung daran arbeite, zu zeigen, dass weder ein nüchterner Blick auf „reale“ Wirkungszusammenhänge, noch die Notwendigkeit aktiven Widerstands gegen Unrecht, noch die Forderung nach einem differenzierten Umgang mit normativen Prinzipien für militärische (Gegen-)Gewalt und gegen Pazifismus spreche. Die „brutale Realität“ spreche nicht für militärische Gewalt. Damit wehrte sie sich eindeutig gegen den Vorwurf, Pazifismus sei eine „naive Utopie“.
Guido Grünewald von der DFG-VK rief die Teilnehmenden zu einer kritischen Reflektion aktueller pazifistischer Thesen und Forderungen auf, was beispielsweise unter einem Verhandlungsfrieden verstanden werde, und wies auf mögliche Meinungsverschiedenheiten diesbezüglich innerhalb der Friedensbewegung hin. Gleichzeitig vertrat er die Ansicht, dass Pazifismus voraussichtlich eine Minderheitenmeinung bleiben werde.
Das Symposium wurde organisiert von der Bertha-von-Suttner-Stiftung, der DFG-VK, dem Netzwerk Friedenskooperative und dem FNF. Wir danken allen Beteiligten und ganz besonders den Referent*innen und Teilnehmenden für ihre wichtigen Beiträge und ihr Interesse!
Im Bild: David Scheuing (Stiftungsratsvorsitzender der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK), Heide Schütz (Ehrenvorsitzende des FNF) & Elise Kopper (Geschäftsführerin des FNF) beim Werkstattgespräch zur Vorstellung der Bertha-Bahn